Schreckensherrschaft Pärchenterror - Wenn aus Liebe Terror wird

aus L-MAG, Magazin für Lesben, Jan/Feb 07, http://www.l-mag.de

Die lesbische Welt wird von "Pupsi" und "Hasi" beherrscht. Sie halten sich im Klammergriff und tauchen nur zusammen auf. L-MAG-Autorin River Tucker kämpft allein gegen den Rest der Welt.

Der Smalltalk auf einer Geburtstagsparty eskaliert, als ich mein Schweigen breche und sage, was ich denke. Ich kann nicht mehr schweigen! Wer schweigt, unterstützt das Terrorsystem. Nun erhebe ich meine Stimme, ganz gleich, ob mich das die Ausgrenzung aus der Lesbenwelt kostet. Ich kann es einfach nicht mehr sehen: Auf Partys schieben sich die Frauen paarweise im Gleichschritt und im Klammergriff durch die Menschenmenge - für mich der Inbegriff des "Pärchenterrors". Ja, dieses Verhalten grenzt regelrecht an Terror. Die Definition für Terror im Lexikon: "Schrecken bereitendes Geschehen". Die lesbische Realität wird im Lexikon natürlich nicht erwähnt. Doch das lässt sich leicht auf lesbische Verhältnisse übertragen. Der durch Pärchen verbreitete Schrecken ist überall. Obwohl ich dieses lesbische System aus verlogener Monogamie und eheähnlichen Gemeinschaften nicht gewählt habe, kann ich ihm nicht entkommen. "Mit welchem Recht wird mir mit penetrantem Pärchengetue Gewalt angetan?", frage ich in die Smalltalk-Runde. Niemand antwortet, alle gucken betreten zur Seite.

Gemeinsam dick - oder magersüchtig

Pärchenstruktur funktioniert ganz einfach: Äußerlich nähert man sich an: Die eine wird dünner, die andere ein bisschen dicker. Oder das Paar wird - wie oft bei trendigen Großstadtlesben zu sehen - gemeinsam magersüchtig. Andere wiederum werden im Pärchenzustand zusammen dick. Welchen Weg die Paare wählen, ist dem Pärchenterrorsystem gleich, Hauptsache, die Frauen legen äußerlich Zeugnis ihrer Zweisamkeit ab. Gesponsert wird die Ideologie der äußeren Angleichung offenbar von Jack Wolfskin und anderen Treckingmarken: Hauptsache Gore-Tex-Kleidung, praktisch und unattraktiv, Hauptsache alles gleich.
Wie von selbst kommt nach dem Pärchenlook das Pärchenverhalten: Wenn die eine nach Hause will, muss die andere mit. Unverzichtbar dabei ist die erste Person Plural, das W-Wort. Man verlässt nur noch als "wir" die Party. "Wir sind müde, wir gehen letzt. " Natürlich zieht das "wir" irgendwann zusammen. Spießige Strukturen der Heterowelt unreflektiert zu übernehmen, ist das Fundament des lesbischen Pärchenterrors. Ein System lebt schließlich nur so lange, wie Menschen meinen, aus freiem Willen mit zu machen. ""So schlecht geht es uns doch gar nicht", bemerkt jetzt eine aus der Runde. "Wann habt ihr denn zum letzten Mal in den Spiegel geguckt?", entgegne ich scharf.
Ich sitze also auf dieser Party und muss mir nach meiner Kritik an den Pärchen anhören, ich hätte nur noch nicht die Richtige gefunden. Dieser Satz kommt mir irgendwie bekannt vor. Sonst sagen das immer Männer, die nicht akzeptieren können, dass ich mich sexuell nicht von ihnen angezogen fühle. Offensichtlich wollen die Frauen auf dieser Geburtstagsparty überhaupt nicht hören, was ich sage, und können meine Ablehnung auch nicht einfach so stehen lassen. Stattdessen versucht man, mich mit missionarischem Eifer umzustimmen. Ähnliche Erlebnisse hatte ich, als ich mich vegan ernährt habe. Damals versuchte mich auch jeder zu überzeugen, dass mein Versuch, die Weit zu retten, sinnlos sei. Vielleicht haben all die Besserwisserinnen in einem Punkt aber recht: Ich kann sie nicht retten.

Kosenamen machen kaputt

Dennoch erliege ich immer noch der Illusion, die lesbische Weit oder wenigstens einige wenige Menschen vom Pärchenterror befreien zu können. Wie bei jedem langfristigen Kampf um Menschenrechte muss sich allerdings jede Einzelne freikämpfen und sollte nicht auf die Revolutionsführerin warten. Eine Jeanne d'Arc, die die Lesben von sich selbst befreit, wird es wohl hie geben. Schade. Ich würde mir in dieser Rolle gefallen. Zurück zum real-existierenden Pärchenterror. Manchmal - so ist das mitunter mit der Schreckensherrschaft - ist es einfach nur peinlich. Wenn auch geradezu gefährlich peinlich. Denn manche Kosenamen grenzen nicht selten an Körperverletzung.
So löschen zum Beispiel "Schatz", "Baby", "Hasi" oder "Spatzi" zunächst die Individualität der zukünftigen Pärchenpersonen aus.
Muss man allerdings mit anhören, wie eine Frau "Pupsi" genannt wird, offenbart sich das System in seinem ganzen Schrecken. Ich behaupte: "Pupsi" zerstört die psychische Unversehrtheit der so genannten Frau mittels scheinbarer Nettigkeit. Jetzt wenden sich auch die letzten Zuhörerinnen erschreckt von mir ab. Hallo? Ich bin doch nicht diejenige, die hier persönliche Grenzen überschreitet. Egal was ich sage, die Frauen wollen mit soviel Systernkritik nichts zu tun haben. Doch mit Isolation bringen sie mich nicht zum Schweigen! Und wenn ich am Ende ganz alleine dastehen sollte - ich gebe nicht auf! Ich werde in den Untergrund gehen und für eine freiere Lesbenwelt ohne die Schreckensherrschaft des Pärchenterrors kämpfen.